Montag, 12. November 2012

Auslegung eines Testaments kann für Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge der bedachten Lebensgefährtin sprechen

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat mit Beschluss vom 30. Juli 2012 (I-3 Wx 247/11) entschieden, dass die für die Einsetzung von Abkömmlingen des Erblassers geltende Auslegungsregel des § 2069 BGB bei dem Erblasser besonders nahestehender Personen nicht - auch nicht analog anzuwenden ist. Gemäß § 2069 BGB ist bei Wegfall eines bedachten Abkömmlings im Zweifel anzunehmen, dass ersatzweise der betreffende Stamm als Erbe berufen ist.

Im vorliegenden Fall hatte der Erblasser seine jahrzehntelange Lebensgefährtin bedacht. Diese ist jedoch vor ihm verstorben. Eine Ersatzerbeinsetzung erfolgt im Testament nicht. In einem solchen Fall ist jedoch durch Auslegung zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben zu berufen. Wenn der Erblasser in seiner letztwilligen Verfügung seine Lebensgefährtin bedacht hat, legt die Lebenserfahrung für den Fall des vorzeitigen Wegfalls des von ihm eingesetzten Erben die Prüfung nahe, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Errichtung des Testaments eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt hat oder gewollt hätte. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob die Zuwendung dem Bedachten als erstem seines Stammes oder nur ihm persönlich gegolten hat. In jedem Fall jedoch ist der Erblasserwille anhand aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln.


Der seinerzeit beurkundende Notar gab im Gerichtsprozess an, dass in den Fällen, in denen der Testierende nur einen Erben benenne - insbesondere wenn dieser schon älter sei - er regelmäßig nach Ersatzerben nachfragen würde. Soweit der Testierende erklärt, dass er keine Ersatzerben benennen möchte, werde er zusätzlich darauf hingewiesen, dass dann die gesetzliche Erbfolge gelten würde. Bestätigt der Testierende diese Rechtsfolge, werde vermerkt, dass er weiteres nicht zu bestimmen habe. Auch werde der Testierende darüber in Kenntnis gesetzt, dass er ein neues Testament errichten kann, soweit der von ihm eingesetzte Erbe vorverstorben sei oder sich die Verhältnisse geändert hätten. Der Senat sah keinen Anlass, an der nicht nur nachvollziehbaren, sondern auch plausiblen Darstellung zu zweifeln. Danach entschied sich der Erblasser im maßgeblichen Zeitpunkt der Errichtung des Testaments bewusst und in voller Kenntnis der Tragweite seiner Entschließung gegen eine Ersatzerbenberufung.

Die Tochter der vorverstorbenen Lebensgefährtin trug hingegen vor, dass der Erblasser sich nach dem Tod ihrer Mutter dahin erklärt habe, er wolle sein Testament zu ihren Gunsten ändern. Dies steht allerdings in Widerspruch zu der Annahme, der Erblasser habe mit der Benennung seiner Lebensgefährtin zugleich ersatzweise deren Abkömmlinge berufen wollen. Der Vortrag der Tochter der Lebensgefährtin, der Erblasser habe insbesondere nach dem Tod seiner Lebensgefährtin den Willen gehabt, die Tochter auf jeden Fall als Erbin zu bedenken, lässt keinen Rückschluss auf einen gleich gelagerten Willen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu. Dieser angeblich spätere Wille ist seinerseits nicht mehr in einer Verfügung von Todes wegen umgesetzt worden.



Da ein tatsächlicher Wille des Erblassers zur Zeit der Testamentserrichtung feststellbar ist, kommt es auf einen mutmaßlichen Willen oder auf eine ergänzende Testamentsauslegung nicht mehr an. Nur wenn der Richter sich von einem tatsächlich vorhandenen wirklichen Willen eines Erblassers nicht überzeugen kann, muss er sich mit dem Sinn des Testaments begnügen, der dem Erblasserwillen mutmaßlich am ehesten entspräche. Dies erlaubt aber nicht, sich bei der Testamentsauslegung insgesamt mit bloßen Wahrscheinlichkeiten zu begnügen, wenn ein tatsächlicher Wille ermittelt ist.

Einkommensteuerschuld für das Todesjahr ist Nachlassverbindlichkeit

Der Bundesfinanzhof entschied am 4. Juli 2012 (II R 15/11), dass die vom Erben in seiner Eigenschaft als Gesamtrechtsnachfolger zu leistende, noch vom Erblasser herrührende Einkommensteuerzahlung für das Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit gemäß § 10 Abs. 5 Nr. ErbStG abzugsfähig ist.

Gemäß § 1967 Abs. 1 BGB haftet der Erbe für die Schulden, die der Verstorbene hinterlassen hat. Streitig war, ob der Erbe auch für die Steuerschulden haftet, die im Todesjahr des Erblassers entstehen. Das Finanzgericht Niedersachsen hatte dies verneint, weil die Einkommensteuer erst am Ende eines Kalenderjahres entsteht. Nach Ansicht des Bundesfinanzhofs kommt es nicht darauf an, wann die Steuer rechtlich entsteht, nämlich am Ende eines Jahres, sondern nur darauf, ob der Erblasser vor seinem Tod eine steuerlich relevante Tätigkeit entfaltet hat.

Sonntag, 21. Oktober 2012

Erbschaft- und Schenkungsteuer: EU-Kommission verklagt Deutschland

Die EU-Kommission verklagt Deutschland wegen „diskriminierender Erbschaftsteuerbestimmungen“ beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Nach deutschem Recht wird für geerbtes deutsches Vermögen eine höherer Steuerfreibetrag gewährt, wenn der Erblasser oder der Erbe in Deutschland lebt, als wenn beide im Ausland leben. Somit werden Gebietsfremde für in Deutschland belegenes, geerbtes Vermögen höher besteuert als in Deutschland ansässige Personen. Eine solche Bestimmung könnte nach Ansicht der Kommission im Ausland lebende Personen davon abhalten, in Deutschland in Immobilien zu investieren. Nach Auffassung der Europäischen Kommission stellt diese Bestimmung eine ungerechtfertigte Beschränkung des in den Verträgen verankerten freien Kapitalverkehrs dar.

Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) in Kraft

Grenzüberschreitendes Vererben und Nachlassabwicklungen in Europa werden einfacher.

Am 16. August 2012 ist die EuErbVO in Kraft getreten (sog. Rom IV-Verordnung). Unmittelbare Wirkung entfaltet sie aber erst ab dem 17. August 2015. Das heißt, die neue Verordnung ist - unabhängig vom Zeitpunkt der Testamentserrichtung  - erst auf Todesfälle ab dem 17. August 2015 anwendbar. Sie gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme von Dänemark, Irland und Großbritannien. Ferner gilt sie auch im Verhältnis zur Staatsangehörigen und Ansässigen außerhalb der teilnehmenden Staaten. Staatsverträge, die Deutschland mit der Türkei, dem Iran und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion geschlossen hat, bleiben weiterhin vorrangig in Kraft.


Die Verordnung führt zu Änderungen und Ergänzungen beim Erbkollisionsrecht, der internationalen Zuständigkeit in Erbsachen, der Anerkennung und Vollstreckung erbrechtlicher Entscheidungen und zur Schaffung eines europäischen Nachlasszeugnisses. Künftig wird bei europäischen Erbangelegenheiten nicht mehr auf die Staatsangehörigkeit abgestellt, sondern auf den letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Für Erbfälle nach dem 17. August 2015 kann bereits jetzt schon jeder Testierende zugunsten des Rechts des Staates dem er angehört, eine Rechtswahl treffen. So kann zum Beispiel ein Mallorca-Rentner verhindern, dass sein Nachlass sich nach spanischen Recht richtet. Für Todesfälle vor dem 17. August 2015 gilt bei testamentarischer oder erbvertraglicher Verfügung eine Rechtswahlvermutung zugunsten des deutschen Rechts - nicht hingegen bei gesetzlicher Erbfolge.

Für Erbscheinsverfahren und Erbstreitigkeiten sind künftig ausschließlich die Gerichte oder sonstigen staatlichen Stellen (zum Beispiel Notare) im letzten gewöhnlichen Aufenthaltsstaat des Erblassers zuständig. Ausnahmen gibt es unter anderem bei Rechtswahl, rügeloser Einlassung und für die Entgegennahme erbrechtlicher Erklärungen (wie zum Beispiel Ausschlagung und Annahme der Erbschaft). Erbrechtlichen Entscheidungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und können vollstreckt werden.

Das neue europäische Nachlasszeugnis tritt neben den deutschen Erbschein und das Testamentsvollstreckerzeugnis. Das Nachlasszeugnis führt auch Vermächtnisnehmer und Nachlassgegenstände auf und dient der einfacheren Legitimierung im gesamten Geltungsbereich. Er ist auf sechs Monate befristet, kann aber verlängert werden.

BFH hält Erbschaftsteuergesetz für verfassungswidrig

Der Bundesfinanzhof (BFH II R 9/11) sieht § 19 Abs. 1 ErbStG in Verbindung mit §§ 13a und 13b ErbStG in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz für verfassungswidrig an und legt dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor.
 



Die weitgehende oder vollständige steuerliche Verschonung des Erwerbs von Betriebsvermögen, land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Anteilen an Kapitalgesellschaften oder Anteilen daran stelle eine nicht durch ausreichende Gemeinwohlgründe gerechtfertigte und damit „verfassungswidrige Überprivilegierung“ dar, so die obersten Steuerrichter. Es könne nicht unterstellt werden, dass die Erbschaftsteuer typischerweise die Betriebsfortführung gefährde; es gehe weit über das verfassungsrechtlich Gebotene und Zulässige hinaus, Betriebsvermögen ohne Rücksicht auf den Wert des Erwerbs und die Leistungsfähigkeit des Erwerbers freizustellen, und zwar auch dann, wenn die für eine Erbschaftsteuerzahlung erforderlichen liquiden Mittel vorhanden seien oder - gegebenenfalls im Rahmen einer Stundung der Steuer - ohne weiteres beschafft werden könnten. Die zusätzlich zu den Freibeträgen des § 16 ErbStG anwendbaren Steuervergünstigungen nach §§ 13a und 13b ErbStG zusammen mit zahlreichen anderen Verschonungen führten dazu, dass die Steuerbefreiung die Regel und die tatsächliche Besteuerung die Ausnahme sei.

Laut BFH führten die Verfassungsverstöße teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung, durch die diejenigen Steuerpflichtigen, die die Vergünstigungen nicht beanspruchen könnten, in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden.

Die Gleichstellung von Geschwistern, Nichten und Neffen mit familienfremden Dritten bei der Erbschaftsteuer erklärte der Bundesfinanzhof dagegen für rechtens. Der im Grundgesetz verankerte Schutz von Ehe und Familie beziehe sich nur auf die Gemeinschaft von Eltern und Kindern.

Donnerstag, 30. August 2012

Sozialgericht Stuttgart: Pflichtteilsverzichtsvertrag nicht sittenwidrig bei ALG II Bezug

Wie Mitte August 2012 bekannt wurde, hat das Sozialgericht Stuttgart am 8. März 2012 (S 15 AS 925/12 ER) im Wege der einstweiligen Anordnung entschieden, dem Antragsteller darlehensweise Leistungen zu gewähren, obwohl dieser einen Pflichtteilsverzichtsvertrag abgeschlossen hatte.

Der Antragsteller bezog seit Ende 2010 Arbeitslosengeld II. Im April 2011 schloss er mit seinem Vater, der ihm zuvor testamentarisch ein lebenslanges und unentgeltliches Wohnrecht in der Dachgeschosswohnung seines Wohnhauses eingeräumt hatte, einen Pflichtteilsverzichtsvertrag. Im Juni 2011 verstarb der Vater. Zunächst gewährte das Jobcenter die Leistungen weiter, lehnte dann aber einen weiteren Fortzahlungsantrag ab und begründete dies damit, dass der Antragsteller über verwertbares Vermögen verfüge, da der Pflichtteilsverzichtsvertrag sittenwidrig und daher unwirksam sei.
Das Gericht ist der Auffassung, dass es sich bei dem Pflichtteilverzichtsvertrag weder um einen Vertrag zu Lasten Dritter, noch die Sittenwidrigkeit eines Pflichtteilsverzichts damit zu begründen sei, dass der Antragsteller seine Hilfebedürftigkeit durch den Verzicht mit Schädigungsabsicht zu Lasten des Leitungsträgers aufrechterhalte. Der Pflichtteilsverzicht sei regelmäßig kein geeignetes Mittel, um zu Lasten des Leistungsträgers zu handeln, so das Stuttgarter Sozialgericht.

Montag, 16. Juli 2012

Eintragung nach Erbauseinandersetzung löst Gebühren aus



Mit Beschluss vom 24. April 2012 (4 W 26/12) entschied das OLG Celle, dass die Eintragung eines Miterben als Alleineigentümer im Grundbuch infolge Erbauseinandersetzung gebührenpflichtig ist. § 60 Abs. 4 KostO soll in diesem Fall nicht anwendbar sein. Die Vorschrift besagt, dass die Gebühren für die Grundbuchberichtigung nicht erhoben werden bei Eintragung von Erben des eingetragenen Eigentümers, sofern der Eintragungsantrag binnen zwei Jahren seit dem Erbfall beim Grundbuchamt eingereicht wird. Das Privileg soll nach der Entstehungsgeschichte der Vorschrift dem Einzutragenden nur dann zugute kommen, wenn es sich um eine Grundbuchberichtigung durch Eintragung des Erben handelt. Der Gesetzgeber wollte seinerzeit die Grundbuchberichtigung nach einem Erbfall begünstigen, da an der Richtigkeit des Grundbuchs ein öffentliches Interesse besteht.



Im zu entscheidenden Fall ist der Miterbe nicht durch die Erbschaft, sondern erst durch die Eintragung im Grundbuch Alleineigentümer geworden. Denn der Miterbe wurde vorliegend nicht als Erbe in das Grundbuch eingetragen, sondern nur deswegen, weil er infolge eines notariellen Erbauseinandersetzungsvertrages einen Anspruch auf die Eintragung als Alleineigentümer erworben und sich das Rechtsgeschäft erst durch die Eintragung im Grundbuch vollendet hat. In diesem Fall sei das Gebührenprivileg mit dem Sinn und Zweck des § 60 Abs. 4 KostO nicht vereinbar, so die Richter des OLG Celle.

Anderer Auffassung war zuletzt das OLG München im Jahr 2006 (NJW-RR 2006, 648), das bei einer sofortigen Erbauseinandersetzung ohne Voreintragung der Erben die Gebührenfreiheit bejahte und begründete dies damit, dass eine noch nicht auseinandergesetzte Erbengemeinschaft lediglich ein Übergangsstadium sei.